Was Trauernden nicht hilft?! „Ich weiß genau wie du dich fühlst!“ ist eine Aussage, die du vielleicht auch schon mal gehört hast. Weißt du noch wie es dir damit ging?
Die Gründer der Grief Recovery Method haben einmal eine Studie durchgeführt. Sie wollten erfahren, welche Kommentare von Trauernden als wenig hilfreich empfunden wurden.
Vielleicht ahnst du es bereits: Der Satz „ich weiß genau wie du dich fühlst!“ landete auf Platz Nummer 1 der Aussagen, die nicht hilfreich waren. Trauernde beschrieben, dass sie beim Hören dieses Satzes oft wütend wurden. Ihr Inneres schrie förmlich auf: „Wie kannst du nur behaupten, dass du weißt wie es mir geht? Du hast mich doch gar nicht gefragt..“
Weil ich meinen Vater verloren habe, kann ich nicht davon ausgehen, dass ich weiß, wie es meiner Freundin geht, deren Vater auch gestorben ist.
Denn: Jede Beziehung ist einzigartig und individuell.
Gefühle und Empfindungen lassen sich nicht pauschalisieren und Trauer empfindet jeder anders.
Jeder Mensch ist einzigartig und individuell
Es kann hilfreich sein mit Menschen zu sprechen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Die nachvollziehen können, wie schwer es sein kann, morgens aufzustehen und in den Tag zu starten. Andere Menschen haben auch erlebt, dass Trauer manchmal ein treuer, jahrelanger Begleiter ist. Dass sie einen plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung immer wieder eiskalt erwischt.
Mir hat es geholfen, mich mit Menschen auszutauschen, die einen nahen Angehörigen verloren hatten. Gleichzeitig fühlte ich mich bevormundet, wenn mir ein Gefühl unterstellt wurde, das ein anderer in einer vermeintlich vergleichbaren Situation so empfunden hat.
Die Aussage „Ich weiß wie du dich fühlst“ ist für einen Trauernden keine Einladung, seine Gefühle zu offenbaren; vielmehr lenkt der oder die Zuhörende den Fokus auf sich.
Das ist meist gar keine böse Absicht! Es passiert quasi unbewusst. Wenn wir einem Menschen zuhören, dann beginnt unser ‚innerer Scanner‘ automatisch unsere Erlebniswelten zu durchforsten, um das Gehörte einordnen zu können und sich dazu in Beziehung zu setzen.
Das hilft Trauernden nicht
Als ich meinem Umfeld damals von der Krebserkrankung meines Vaters erzählte, habe ich mich öfter über seine Krankheit unterhalten (müssen!) als darüber wie es mir geht. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass auf einmal unglaublich viele Menschen Krebs hatten, ich habe mir anhören müssen, was es noch für Krebs gibt und wie es bei anderen ausging…
Diese Gespräche sind entstanden, weil meine Gesprächspartner*innen ihre Erfahrungen zu dem Schlagwort „Krebs“ thematisiert haben.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich manchmal ein Gespräch mit der Bereitschaft begann, davon zu erzählen was ich gerade fühle und wie es mir im Herzen geht. Die Kommentare und Fragen meiner Zuhörenden haben meine Aufmerksamkeit allerdings aus dem Herzensraum in den Kopf „gezwungen“
Ich habe auf einmal über medizinische Details gesprochen oder über die Krebserkrankungen von anderen Menschen und ich merkte, dass ich begann, mich emotional zurückzuziehen. Diese Gespräche erschöpften mich und kosteten viel Kraft.
Wir lernen alleine zu trauern
Ich habe in dieser Zeit einmal mehr verstanden, warum Menschen sich oft dafür entscheiden alleine zu trauern.
Ich weiß noch, dass ich in meinem allerersten Ausbildungsseminar Russell davon überzeugen wollte, dass es mir gut damit geht, alleine zu trauern. Da ich mir selbst gut zuhören kann, da ich weiß wie ich meinen Gefühlen ihren Raum schenken kann… Russell legte mir nahe, darüber nachzudenken, ob dieses „Alleine trauern“ nicht ein erlerntes Verhalten ist.
Sehr schnell wurde mir klar, dass es so ist. Wir lernen alleine zu trauern, weil wir uns von unseren Mitmenschen leider ziemlich oft ziemlich viel Mist anhören müssen.
Der Satz „Ich weiß genau wie du dich fühlst!“ hat mich gar nicht so verärgert. Ich konnte mich mit der guten Absicht dahinter meist ganz gut verbinden.
Schlimm fand ich erleben zu müssen, dass Menschen anscheinend ständig überhaupt soviel sagen und kommentieren mussten und eher aus dem Kopf als aus dem Herzen reagierten.
Echte Trauerbewältigung wurde für mich möglich, als ich die Grief Recovery Method kennenlernte und behutsam eingeladen wurde, in einem geschützten Raum über meine Gefühle zu sprechen. Nun ist es mein Herzensanliegen, für Trauernde Räume anzubieten, in denen ihre Trauer willkommen ist und nicht bewertet wird. Nur dann ist Trauerbewältigung möglich.